Die TelefonSeelsorge Deutschland (TSD) bietet neben telefonischen, Mail- und Chatkontakten auch persönliche Beratung an. Wie alle Beratungsangebote ist dieses anonym und kostenlos. Während der Pandemie mussten die Vor-Ort-Beratungsstellen neue Wege gehen. Sie berieten telefonisch oder per Onlinemeeting. Das Schlagwort dazu lautet Blended Counseling.
„Wir mussten uns im ersten Pandemiejahr ohne Vorerfahrung blitzartig umstellen“, berichtet Martin Kühlmann, Sprecher der „Offenen Türen“ und Mitglied im erweiterten Vorstand von TelefonSeelsorge. „Gerade während des ersten Lockdowns hieß das, von der Beratung im direkten Gegenüber zumindest bei den Erstkontakten zur Telefonberatung überzugehen. Das konnten wir dann im Lauf der Zeit und mit wachsender Erfahrung im Umgang mit der Situation und ihren Erfordernissen schrittweise wieder ändern.“
Der direkte Kontakt zwischen den psychologisch-seelsorgerisch ausgebildeten Beratenden und ihrer Klientel ist Grundlage für die Beratung vor Ort. Im Gegensatz zu der prinzipiell einmaligen Krisenintervention der TelefonSeelsorge-Stellen geht es bei der Vor-Ort-Beratung durchaus auch um längerfristige Prozesse.
Virtuelle Beratung als Chance
In den Offene Tür-Stellen größerer Städte zeigte sich, dass durch die Pandemie auch Neues entstehen konnte. Hier wurde erfolgreich mit virtuellen Beratungsformaten gearbeitet. „Für diejenigen, die sich auf die Beratung per Video einlassen konnten, hat sie sich als positiv erwiesen“, sagt Sybille Loew, Leiterin der Offene Tür-Stelle „Münchner Insel“. „So haben wir zum Beispiel Paarberatungen durchgeführt, bei denen alle Beteiligten an unterschiedlichen Orten vor ihren Bildschirmen saßen. Einige unserer Klientinnen und Klienten möchten diese Beratungsform auch weiterhin nutzen.“
Das bestätigt Thomas Herzog, Leiter der Offenen Tür Berlin: „Interessant an unseren Erfahrungen mit Präsenzberatung und virtuellem Setting ist der Umstand, dass auch nach dem Wegfall Corona-bedingter Beschränkungen nur etwa ein Drittel der Klienten zur Präsenzberatung zurückkehren möchte. Zwei Drittel aller Nachfragen wünschen ausdrücklich Online-Beratung oder Beratung über Telefon. Zudem gewinnt das ‚Blended Counseling‘, also die passgenaue und professionell gestaltete Verzahnung von analogen und digitalen Kommunikationskanälen im Beratungsverlauf, zunehmend an Bedeutung.“
Nicht alles geht online
Es gibt aber auch andere Erfahrungen. „Menschen mit Migrationshintergrund, ganz praktisch hilfsbedürftige Menschen, etwa mit Ämterbescheiden, Menschen, die zuhause nicht ungestört sind – für sie alle war der Wegfall oder die nur eingeschränkte Zugänglichkeit unserer Vor-Ort-Beratung ein großes Problem“, ergänzt Sybille Loew. Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Im Jahr 2020 wurden bundesweit 17 Prozent weniger Gespräche in den Vor-Ort-Beratungen durchgeführt als im Jahr 2019. Und auch 2021 wurden die Beratungszahlen vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht. Bei den kürzeren telefonischen Informations-Anfragen hingegen gab es mancherorts eine Verdoppelung – so auch in München.
Blended Counseling
Das Blended Counseling basiert auf der systematischen Anwendung verschiedener (Offline- und Online-)Formate während eines Beratungsprozesses. Der Wechsel des Settings wird dabei als Chance für den Prozess begriffen und orientiert sich nicht nur an der für die Ratsuchenden „praktischsten“ Form, sondern nutzt gezielt die Eigenschaften des jeweiligen Mediums je nach Anliegen, Umständen und Fortschritt im Beratungsprozess. So kann es Sinn machen, ein hochstrittiges Paar zuerst von verschiedenen Standorten aus gemeinsam per Video zu beraten, Einzelgespräche mit beiden telefonisch zu gestalten und in einem späteren Verlauf vor Ort beide persönlich zu beraten.
Info-Broschüre zum Vor-Ort-Angebot
Kurzfristige Termine und Anonymität auch im Gegenüber machen das Vor-Ort-Angebot einzigartig. Dieses Angebot haben die Leitungen der Vor-Ort-Stellen jetzt in einer Broschüre zusammengefasst. Dort legen sie Leitgedanken und Methoden ihrer Arbeit komprimiert dar: „Wir sagen an vielen Stellen Wissenswertes über unsere Arbeit; jetzt haben wir alles, was uns ausmacht, in einer kompakten Broschüre zusammengestellt. Sie soll insbesondere den mit uns vernetzten sozialen Organisationen eine Entscheidungshilfe bieten, ob die Zusammenarbeit mit uns für ihre Klientel hilfreich sein kann“, erklärt Martin Kühlmann.
Insgesamt ziehen die Vor-Ort-Beratungen ein positives Fazit aus den Erfahrungen in zwei Jahren Pandemie. „Wir haben sehr klar gesagt bekommen, wie wichtig unser Angebot ist und wie sehr es gebraucht wird“, resümiert Martin Kühlmann. „Und wir sind stolz darauf, dass wir mit Hilfe unserer engagierten haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden die notwendige Flexibilität an den Tag legen konnten, um für möglichst viele da zu sein.“
Die Broschüre zum Vor-Ort-Angebot steht hier zum Download zur Verfügung.